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Nachricht vom 02.10.2019 |
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Region |
„Ein gesunder Wald ist wichtig, und der stirbt gerade großflächig ab“ |
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Die Fichten sterben jetzt, aber die riesigen Flächen müssen auch wieder aufgeforstet werden: Trotz der dramatischen Ereignisse, die sich im Wald in den Fichtenbeständen abspielen, wurde nun der Blick nach vorne gelegt: Wie kann der Wald umgebaut und gestaltet werden? Das war eine Frage, bei der es bei einer Podiumsdiskussion im Bürgerhaus Biersdorf am Montag (30. September) ging. Landtagsabgeordneter Michael Wäschenbach hatte Experten dazu geholt. |
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Daaden-Biersdorf. Es lässt sich einfach nicht mehr übersehen, wie es dem Wald geht: Braun bleckt es überall in den Fichtenbestände. Oft hat die Motorsäge schon für Klarheit gesorgt. Und so manche alte Borke – bereits abgestorben - wird noch das Prinzip einer Kettensäge zu spüren bekommen. Es ist ein finanzieller Schaden für die Waldbesitzer. Diejenigen, die nun die Plätze im Saal im Bürgerhaus Biersdorf eingenommen hatten, dürften allesamt unmittelbar betroffen sein, davon, wie Trockenheit, Hitze und Borkenkäfer dabei sind, ein Generationenwerk zu zerstören. Denn dort, wo jetzt der Wald buchstäblich fällt, muss erst wieder aufgeforstet werden, mit der Hoffnung, dass es funktioniert, die Kulturen angehen und alles überstehen, bevor in Jahrzehnten überhaupt wieder etwas geerntet werden kann.
Der „Wunderbaum“, der alle Probleme lösen kann, wurde jedoch nicht bei der Podiumsdiskussion präsentiert, zu der Landtagsabgeordneter Michael Wäschenbach begrüßte. Wald- und Umweltpolitik sei eines der wichtigsten Themen, betonte er. Man wolle an diesem Abend nicht jammern und klagen, was man in den vergangenen Wochen genügend getan habe, sagte der Abgeordnete, der auch die finanziellen Verluste der Waldbesitzer herausstellte. Man wolle nach vorne schauen, wie der Wald umgebaut und gestaltet werden könne, mit den Experten auf dem Podium. So zum Beispiel mit Ministerialdirigent Dr. Axel Heider, Leiter der Unterabteilung Wald- und Forstpolitik im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Blick in die Zukunft
Der Blick soll in die Zukunft gerichtet sein, sagte Wäschenbach, der schilderte, wie es zu der Veranstaltung gekommen sei. Mahnend die Försterhand gehoben, das habe Ralf Hoss, Revierleiter in Gebhardshain. Im Vier-Augen-Gespräch sei ihm die Dramaturgie ganz bewusst geworden, sagte Wäschenbach und dankte Hoss für den Hinweis. Das sah wohl auch der Saal so, zumindest gab es Beifall. Seit 1994 ist er im Forstrevier Gebhardshain mit 1750 Hektar tätig, auf denen zur Hälfte Fichte steht. 2018 habe sich gezeigt, „was für ein Problem auf uns zu kommt“, sagte er. Sturm, Hitzewelle und Trockenheit seien ideale Bedingungen für eine Massenvermehrung gewesen: „Die Folgen für uns sind dramatisch.“
So sah es auch Friedrich Freiherr von Hövel, der als Vorsitzender des Kreiswaldbauvereins betonte: „Die Situation ist dramatisch.“ Besonders sei die Fichte betroffen, aber auch zum Beispiel die Buche: „Ein gesunder Wald ist wichtig, und der stirbt gerade großflächig ab.“ Nach dem idealen Baum für Siegerland und Westerwald hatte Wäschenbach gefragt: Er müsse enttäuschen, sagte Hans-Peter Erhart, Leiter der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt bei Kaiserslautern, denn er habe „keinen Wunderbaum mitgebracht, der alle Probleme lösen wird“. Er könne die Betroffenheit verstehen, und die Schadbilder seien speziell mit der Fichte zu sehen. Dass die Menschen nach Lösungen drängen, das könne er auch verstehen. Die Fichte habe 2018 die Probleme bekommen, aber auch Buche und Eiche sowie Kiefer würden Schadphänomene zeigen. Ein Ratschlag: Baumarten mischen, um das Risiko zu streuen. Der Käfer zum Beispiel finde dann nur ein kleines Nahrungsangebot, eine Massenvermehrung laufe schnell ins Leere. Wichtig sei auch Kenntnis über den Standort, zum Beispiel beim Boden, klimatischen Aspekten, Temperatur und Niederschlägen. Die Standortkartierung in Rheinland-Pfalz sei in den vergangenen zwei Jahren nach modernen Maßstäben weiterentwickelt worden. Die Ergebnisse sollen den Forstrevieren im Laufe des nächsten Jahres zur Verfügung gestellt werden, um Entscheidungsfragen zu unterstützen. Stichwort Sukzession: Die natürliche Wiederbewaldung nach Kalamitäten müsse man als Chance begreifen, sagte er mit Verweis auf den Sturm „Wiebke“. Pioniere wie die Birken würden einen Schirm über anspruchsvolleren Arten wie die Eiche spannen. Gleichwohl müsse Pflegeaufwand betrieben werden.
Der Klimawandel ist da
Von einem „finanziellen Überlebenskampf“ sprach Wäschenbach und leitete unter dem Verweis auf Finanzierungsprogramme, was sich verstetigen müsse, zu Ministerialdirigent Dr. Axel Heider hin. Er ist Leiter der Unterabteilung Wald- und Forstpolitik im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Heider erinnerte, was die Dürre im Vorjahr angerichtet habe, und an den Verlust von Eigentum. „Der Klimawandel ist da“, sagte der Ministerialdirigent. Den Schaden der Waldbesitzer bezifferte er mit drei bis vier Milliarden Euro. An Bundesmittel gebe es 574 Millionen Euro, gemeinsam mit Ländern und Waldbesitzern seien es in der Summe rund eine Milliarde. „Mit wissenschaftlicher Expertise müsse wir schauen, dass wir diese Krise meistern“, sagte Heider. Das von Kalamitäten geschädigte Holz müsse schnellstmöglich aus dem Wald. Hier müsse kommunale Hilfestellung oder von Seiten des Staatsforstes gegeben werden. Dass sich der Staatsforst aufgrund des Kartellverfahrens zurück gezogen habe, das dürfe nicht bedeuten, dass dieser in solchen Situationen privaten Waldbesitzern keine Hilfestellung leisten dürfe, sagte der Ministerialdirigent. Laut Heider müssen 180000 Hektar wieder aufgeforstet werden. Mit Baumarten, die resistent und leistungsfähig sind, auch mit Blick auf den Klimawandel und in Jahrzehnte gerechnet. Man benötige auch Forschung. Wie Klimawandel und Wald sich in 150 Jahren zueinander verhalten werden, das müsse erforscht werden, möglichst anwendungsorientiert in der Fläche.
Die Klimadebatte sei wieder ein Thema geworden, stellte Hoss heraus. Man müsse dies nun nutzen, bevor der „öffentliche Fokus weitergewandert“ sei. Es müssten „klimastabile Wälder“ aufgebaut werden. Für Hoss wichtig ist die personelle Ausstattung: „Es zeigt sich deutlich, dass unsere Personalausstattung für Friedenszeiten da war.“ Beim Aufarbeiten des Schadholzes komme man kaum noch nach. Allein im Revier Gebhardshain seien es 30000 Festmeter, und kreisweit seien bei der Fichte 213000 Festmeter eingeschlagen worden – und: Der größte Teil stehe noch. Das werde man definitiv nicht aufgearbeitet bekommen, bevor es 2020 wieder warm wird. „Es findet eine riesige Kapitalvernichtung statt.“ Er lenkte den Blick auch auf die Wiederaufforstung, bevor sich Ginster, Holunder & Co auf den kahlen Flächen breit machen. Mit der Erkenntnis der Forschung müsse man die Weichen neu stellen, mit einer standortbezogenen Mischung. „Schön, dass sich etwas tut“, sagte er mit Blick auf Förderung. Jedoch werde das, was jetzt zur Verfügung stehe, nicht reichen. Die wiederaufgeforsteten Flächen müssten gepflegt und geschützt werden. Dafür gebe es gar keine Mittel. Die meisten Baumarten, die ins Portfolio kämen, seien verbissgefährdet. Es sei jedoch nicht praktikabel, alles beispielsweise mit einem Gatter zu schützen. Bei der Jagd müsse sich auf Bundesebene Gedanken gemacht werden, befand er.
Käferfrass führt zur „Vermögensvernichtung“
Eine Erwärmung um bis maximal zwei Grad Celsius sei „halbwegs verträglich“, meinte Friedrich Freiherr von Hövel, Vorsitzender des Kreiswaldbauvereins Altenkirchen, der dann deutlich wurde: Würden es viereinhalb Grad Celsius, „dann haben wir wirklich hier Steppe“. Der Käferfrass führe nun zu einer „Vermögensvernichtung“. Es sei alles über Jahrzehnte aufgebaut worden. Vorräte seien aufgebaut, in die Schönheit des Waldes und die Rohstoffsicherung investiert worden. Der Vorsitzende sprach auch das Stichwort etwaige Rückforderungen von Aufforstungsmittel an, ebenso das Stichwort Verkehrssicherungspflicht. Standortbedingt werde man gar nicht mehr alle Flächen aufforsten können, schilderte von Hövel. Angesichts der Katastrophe werde man auch gar nicht mehr überall bewirtschaften können, weil es die Waldbesitzer nicht mehr bezahlen können, es sich nicht mehr lohne, verdeutlichte er die Situation. Er erinnerte an die Mittel für die Schadensbeseitigung und die Aufforstung, aber er meinte auch: „Es braucht dennoch eine Verstetigung.“ Und er wurde deutlich: Die Gesellschaft müsse bereit sein, erhebliche Mittel zu geben.
Er erinnerte an den Wald als CO-Speicher, und dieses ökologische Leistung der Waldbesitzer müsse honoriert werden. Er sprach auch die Beförsterungskosten an, man wisse nicht, wie man diese demnächst aufbringen könne. Der Wald sei „für unser aller Daseinsvorsorge da“, sagte er. „Auf die Waldbesitzer und Förster kommt in den nächsten Jahren eine Riesenarbeit zu“, konstatierte von Hövel. Die Beförsterungskosten könnten jedoch nicht im vollen Umfang an den Waldbesitzern hängen bleiben. Er warb für eine vernünftige Fachdiskussion aus Landes- und Bundesebene. Er appellierte zugleich, keine große politische Diskussion anzufangen.
Alle Parteien seine auf dem Themengebiet Wald unterwegs, sagte Wäschenbach. Für ihn ist es ein Thema, das „gesellschaftspolitisch gelöst werden muss“. Ähnlich sah es auch Ministerialdirigent Heider: Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da „verbiete sich jede politische Diskussion“.
50 Prozent des Fichtenbestandes schon vernichtet
2012 habe man bereits die Fichte in Mischwald umgebaut, ohne Fördermittel, berichtete Podiumsteilnehmer Marc Schwan, der der Haubergsgenossenschaft Steineroth vorsteht. Von ihm war zu erfahren, dass 50 Prozent des hiebreifen Fichtenbestandes schon vernichtet sei. Auf dem 100-Hektar-Betrieb seien 6000 Festmeter bereits weg. Es gebe zehn Hektar Kahlflächen, berichtete Schwan. Man sei Laien, sagte er und beklagte: „Wir mussten selbst unsere Käferfichten suchen.“ Man habe jedoch nicht jede gefunden, und so habe sich der Käfer weiter ausbreiten können. Schwan konstatierte auch, dass die „Vermarktung eine Katastrophe“ sei. Es sei schön, dass es Förderung gebe. Aus seiner Sicht sollte jedoch nicht nur auf Weißtanne gesetzt werden, sondern auch auf Küstentanne und Douglasie, die jedoch nicht gefördert würden.
Das Pflanzen ist aus seiner Sicht das geringste Problem. Das sieht Schwan darin, die Pflanzen groß zu bekommen. Stichworte waren hier Freischneiden und Verbissschutz. „Mit eigenen Leuten werden wir das bei diesen Flächen nicht mehr schaffen“, machte er deutlich. Er erwähnte weiter die jährlichen Fixkosten, aber andererseits werde man erst in Jahrzehnten wieder Geld verdienen: „Wie wollen wir das überleben?“, fragte Schwan, der befürchtet, dass „uns“ in 10 oder 15 Jahren das Geld ausgehen könnte. Das Problem, dass ihn am meisten umtreibe, sei es, dass Fördermittel zurückgezahlt werden müssten. Flächen brach liegen zu lassen, das könne es auch nicht sein.
Als eine wesentliches Ergebnis angedeutet habe sich, dass das Risiko der Rückforderungen nicht bestehen bleiben kann, sagte Wäschenbach: „Das ist ein Parameter, bei dem die Politik nachsteuern muss.“ Das Interesse an der Podiumsdiskussion war groß, Waldbesitzer und Vertreter von Haubergsgenossenschaften waren erschienen – auch Konrad Theis, Vorsteher der Haubergsgenossenschaft Bruche/Scheuerfeld. „Reviere zu ändern, das ist eine Zumutung“, sagte er. Es müsse gesehen werden, dass „der Fachmann vor Ort ist und bleibt“. Er beklagte, dass die Reviere größer werden sollen - und erntete dafür Beifall, und auch dafür, dass er herausstellte, dass es der Klimaschutz sei, bei dem man anfangen müsse.
Wald als CO-Speicher
Bei der Podiumsdiskussion war der Wald als CO-Speicher mehrfach in den Blick gerückt worden. Für Wäschenbach war es ein wichtiges Ergebnis ist es, dass das Klima vorne stehe: „Der Wald muss uns helfen, das Klima zu schützen.“ Ein Temperaturanstieg von zwei bis vier Grad Celsius gehe überhaupt nicht, sagte der Abgeordnete. Dass die Aufforstung angesichts der Flächen auch riesige Mengen an Setzlingen erfordert, versteht sich von selbst, und so fragte Michael Bender (Daaden), ob die Versorgung mit Jungpflanzen sichergestellt sei. Angesichts einer Riesennachfrage werde die Versorgungslage schon knapp, befand Hoss: „Bei begehrten Baumarten wird es knapp werden.“
Das Stichwort Sukzession griff Erhart auf: Die natürliche Wiederbewaldung nach Kalamitäten müsse man als Chance begreifen, sagte er mit Verweis auf den Sturm „Wiebke“. Pioniere wie die Birken würden einen Schirm über anspruchsvolleren Arten wie zum Beispiel die Eiche spannen. Gleichwohl müsse ein Pflegeaufwand betrieben werden.
Er habe viel gelernt, und sich einiges ins Hausaufgabenbuch geschrieben, sagte abschließend Wäschenbach. Was Hauberg ist, das habe er gelernt, sagte Heider mit einem Augenzwinkern, Ganz wichtig für ihn ist es, dass man die Dinge miteinander angeht und „ökologische Gegensätze überwinden muss“. Er nehme auch mit, dass Anträge vereinfacht werden müssen – angesichts eines Riesenaufwandes bei Förderanträgen war unter anderem angesprochen worden, dass man schauen müsse, ob diese praxistauglich seien. Für Revierförster Hoss war es eine positive Veranstaltung: „Es hat sich gelohnt, das Interesse ist vorhanden.“ Und Vorsteher Schwan konstatierte: „Das Thema ist in der Bevölkerung angekommen.“ (tt)
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Nachricht vom 02.10.2019 |
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