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Nachricht vom 05.03.2020
Region
„Die Zeit ist reif“: Mit neuer Kindergrundsicherung gegen Armut
Zu einer Informationsveranstaltung mit dem Thema Kindergrundsicherung, „Die Zeit ist reif“ hatten die Landtagsabgeordnete Sabine Bätzing-Lichtenthäler, gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Herrn Heijo Höfer am Mittwoch in das Rathaus nach Betzdorf eingeladen, um das Thema sowohl aus der Sicht der Bundespolitik, der Wohlfahrt als auch der Landesperspektive zu betrachten.
Margit Strunk, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Juliane Seifert, Heijo Höfer, Benjamin Geldsetzer (Fotos: ma)Betzdorf. Als Referentin für die Veranstaltung konnte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Juliane Seifert, gewonnen werden. „Dass so viele gekommen sind, das zeigt, dass die Zeit wirklich reif ist“, so Sabine Bätzing-Lichtenthäler bei der Begrüßung der Besucher. Neben Politikern verschiedener Gremien nahm Betzdorfs Stadtbürgermeister Benjamin Geldsetzer in Vertretung für Verbandsbürgermeister Bernd Brato an der Veranstaltung teil.

„Die Zeit ist tatsächlich gekommen“, so Benjamin Geldsetzer. Als er Kind gewesen sei, da sei es in der Familie völlig normal gewesen, dass sich seine Eltern bei schulischen Problemen mit ihm an einen Tisch gesetzt und ihm Mathe oder Physik beigebracht hätten. Ebenso selbstverständlich sei es gewesen, ein Musikinstrument lernen zu dürfen oder sich in einem Verein engagieren zu können. „Ich hatte unverschämtes Glück und wenn ich heutzutage unsere Jugend in verschiedenen Gegenden angucke, dieses Glück hat längst nicht jeder“. Deutschland schneide im Vergleich mit den anderen rund 200 Staaten in der Welt beim Ranking ziemlich gut ab. Punkteabzug gäbe es allerdings immer bezüglich demographischem Wandel, das zweite große Problem aber sei die soziale Ungleichheit. Bildung und Einkommen seien ein großer Indikator für den späteren Wohlstand der Jugend. „Da müssen wir ansetzen, die Zeit ist reif“, betonte Geldsetzer.

Zu viele Leistungen werden zum Problem
Sie habe als Sozialministerin im Dezember 2016 einen großen, einmaligen Prozess angestoßen mit dem Oberthema „Armut bekämpfen“, so Bätzing- Lichtenthäler. Damit sei die SPD in ganz Rheinland-Pfalz unterwegs gewesen, um das Thema der Armut aus dem Schattendasein zu rücken und mit den Betroffenen und den Akteuren vor Ort darüber ins Gespräch zu kommen: „Was braucht es für konkrete Schritte, um die Lebenssituation der Menschen zu verbessern?“ In Praxisgesprächen, die Bätzing-Lichtenthäler und der Staatssekretär mit den Menschen direkt geführt hätten, sei klar geworden, es gäbe etliche Leistungen, die parallel nebeneinander existierten. Das seien allerdings so viele, dass eigentlich niemand mehr durchblicken würde, so die Ministerin. Und in dem Dschungel an Leistungsangeboten liege eines der Probleme.


So auch beim wichtigen Ansatz des Bildungs- und Teilhabegesetzes. Sie hätten festgestellt, dass dieses Paket nur von einem Viertel der Menschen in Anspruch genommen würde. Das Nebeneinander von verschiedenen Leistungen, Behörden, Beantragungen müsse beendet werden. Es brauche eine einzige Leistung die alle bisherigen ersetze.

Die Kindergrundsicherung solle das bisherige System des Familienlastenausgleichs ersetzen und damit den Kindern die Teilhabe zur Verfügung gestellt werden. Nach der Vorstellung der SPD solle die Kindergrundsicherung von der Familienkasse ausgezahlt werden, gestaffelt nach der Einkommenssituation der Eltern, ausgehend von einem monatlichen Basisbetrag von 250 Euro und einem Höchstbetrag, der sich nach dem Alter der Kinder staffelt und bis zu 478 Euro gehen sollte. Von diesen Beträgen sollen 30 Euro auf einer Kinderkarte ausschließlich für die Leistung für Kinder reserviert sein.

Jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen
Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Mit einer Kindergrundsicherung plant die SPD einen grundlegenden Wechsel in der Familienförderung mit dem Ziel, die Kinderarmut abzuschaffen sowie den rund 18 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland die gleichen Chancen im Leben mit einer einfachen zugänglichen und verlässlichen staatliche Leistung zu geben. Dies gehe aus einem Konzept der Bundesfinanzministerin Franziska Giffey hervor. Kindergrundsicherung sei nicht nur irgendeine Vision, so Juliane Seifert. In dieser Legislatur seien bereits konkrete Schritte unternommen worden. Ein wichtiges Ziel sei die Endbürokratisierung. Seit einer Woche gebe es den Kinderzuschlag digital (der 2005 eingeführt wurde und einen Zuschlag zum Kindergeld darstellt), so dass er auch im Netz beantragt werden kann. Diesen können die Familien mit kleinem Einkommen in Anspruch nehmen. Das war bislang wenig bekannt und sehr bürokratisch. Der Zuschlag ist erhöht worden auf 185 Euro pro Monat und Kind. Bis zum letzten Jahr wurde der Zuschlag für Alleinerziehende mit dem Kindergeld verrechnet, das ist jetzt nicht mehr so. Der Kreis der Zuschlagberechtigen ist deutlich erweitert worden.

Angesprochen wurde auch das Bildungs- und Teilhabepaket das Leistungen für Bildung für hilfebedürftige Schülerinnen und Schüler bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen und hierfür keine Ausbildungsvergütung erhalten. Einen Teil der Bildungsleistungen bekommen auch hilfebedürftige Kinder in Kindertagesstätten (Kitas) und in der Kindertagespflege. Leistungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden für alle hilfebedürftigen Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr erbracht. Neben der Kinderkarte ist die freie ÖPNV-Nutzung als ein Rechtsanspruch auf Mobilität gerade im ländlichen Raum geplant, aber es müsse auch in allen Bundesländern einen Rechtsanspruch auf beitragsfreie Kitas und beitragsfreie Ganztagsbetreuung im Grundschulalter geben. Vor allem aber müssten die Leistungen auch in Anspruch genommen würden, so Seifert noch einmal im Hinblick auf den momentanen Dschungel der Angebote.

Schere in der Gesellschaft nicht noch weiter öffnen
Mit dem neuen Kindergeld solle auf das Familiengesetz für das sie die Grundlage gelegt hätten, aufgebaut werden. Es sei erstmals gelungen, mit dem Kindergeld, das jedes Kind bekomme, plus dem Kinderzuschlag plus der Leistung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket das Existenzminimum eines jeden Kindes abzudecken.

Die Geschäftsführerin des diakonischen Werks des Kirchenkreises Altenkirchen, Margit Strunk, gab eine Einschätzung des Wohlfahrtsverbandes. Auch in den ländlichen Regionen habe sich der Beratungsbedarf bezüglich Kinderarmut gesteigert. Als Diakonie sähen sie die Kindergrundsicherung als einen wichtigen Schritt im politischen Denken. Wenn von Armut gesprochen würde, seien meist Kinder mitbetroffen. Es sei erforderlich, in einer Kombination der verschiedenen Komponenten zu arbeiten. Von Wohlfahrtsseite sei es immer wichtig gewesen zu sagen: „Im Blick muss behalten werden, dass man die Schere, die wir in der Gesellschaft haben, nicht noch verstärkt, sondern dass man Gerechtigkeit schafft zwischen den armen und den reichen Familien“. Wenn Komplexität nicht klappe, dann führe das in den Familien zu einer großen Überforderung. Es sei ein wesentlicher Punkt neben der finanziellen Absicherung auch in die Richtung zu denken: „Weg von den komplizierten Antrags- und Bearbeitungsverfahren.“

Abschließend hatten die Zuhörer Gelegenheit Fragen zu stellen und auch ihre Probleme bezüglich der angesprochenen Themen zu äußern. (ma)
 
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