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Nachricht vom 02.09.2010
Region
"Gesellschaft wirft Teil ihrer Jugend auf den Müll!"
„Chancenlose Jugendliche in Ausbildung und Beruf“ – unter diesem Motto hatte das Forum Soziale Gerechtigkeit zu einem Fachgespräch in die Erich-Kästner-Realschule Plus (EKS) in Ransbach-Baumbach eingeladen. Im Mittelpunkt stand das Schicksal jener jungen Menschen im Westerwaldkreis, die Jahr für Jahr ohne schulischen Abschluss und ohne berufliche Perspektive durch das soziale Netz fallen.Viele engagierte Menschen waren gekommen, die sich nicht länger mit diesem gesellschaftlichen Skandal abfinden wollen.
Uli Schmidt (sechster von rechts), Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit, begrüßte eine Reihe kompetenter Referenten zum Fachgespräch.Westerwaldkreis. Ein Satz prägte sich bei allen ein und provozierte: „Es ist schrecklich mitanzusehen, wie die Gesellschaft Teile ihrer Jugend auf den Müll wirft“. Gemeint sind diejenigen, auf die am Ende des Ausbildungs- und Schulsystems ein Leben in der Sozialhilfe am Rande der Gesellschaft wartet. Betroffen sind auch im Westerwaldkreis jährlich etwa 100 junge Menschen ohne Abschluss und Zukunftsperspektive. So zumindest die Schätzung des Forum Soziale Gerechtigkeit.

Als Sprecher des Forum Soziale Gerechtigkeit begrüßte Uli Schmidt (Horbach) interessierte Fachleute aus Schule und Arbeitsprojekten, Kommunalpolitiker, Eltern und andere Interessenten in der fast voll besetzten kleinen Aula in der EKS. „Wir können es uns im Westerwaldkreis nicht mehr leisten, auch nur einen einzigen Jugendlichen nicht fit für Ausbildung und Job zu machen“ so Schmidt. Als Schulleiter der EKS – die für ihre wegweisenden Berufsfindungsmaßnahmen bekannt ist – stellte Rektor Gerhard Leisenheimer das Motto seiner Schule vor: „Wege entstehen beim Gehen“. Der Mut von Lehrern und Schülern, etwas auszuprobieren, habe sich stets gelohnt.

Zehn Referenten aus verschiedenen Arbeitsbereichen stellten dann ihre Erfahrungen mit dem Thema chancenlose Jugendliche vor. Frank Rainer Schneider, Schulleiter der Michael Ende Schule – Förderschule Lernen – in Bad Marienberg, nannte es eine wichtige Aufgabe, die Förderschüler emotional zu stabilisieren und ihr Leistungsvermögen zu verbessern. Dadurch gelinge es, die Berufsperspektiven für viele Jugendliche zu verbessern. „Auf eine solche Veranstaltung wie heute habe ich vier Jahre gewartet“, meinte Franz Benz als zuständiger Lehrer für die Berufsfindungsprojekte an der EKS Ransbach-Baumbach. Jetzt bestehe die Chance, ein Netzwerk zu bilden, damit kein Jugendlicher mehr ohne Abschluss bleibe. An den beiden Berufsbildenden Schulden (BBS) in Westerburg und Montabaur verlassen jährlich etwa 110 Jugendliche das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Nach Ansicht von Karl-Heinz Scherer vom Schulleitungsteam der BBS Montabaur kommt das BVJ jedoch zu spät, die pädagogische Arbeit müsse viel früher beginnen.

Über eine sehr schillernde Zielgruppe berichtete Dr. Frank Wörner als Jugendprojektleiter des „Ökoprojektes“ des Caritasverbandes Betzdorf. Es gehe darum, den oft vernachlässigten Jugendlichen eine Arbeitsmarktreife zu vermitteln, was immerhin bei etwa der Hälfte auch gelinge. Als eine der ältesten Initiativen für arbeitslose junge Leute im Westerwaldkreis gilt das „Projekt Arbeit und Lernen e.V. „ (Paul) in Höhr-Grenzhausen. Leiter Guido Wießenthaner bemängelte, dass die Jugendlichen zu oft auf sich allein gestellt seien, aber für ein Drittel eine berufliche Perspektive aufgezeigt werden kann. Auch in der Offenen Jugendarbeit wird versucht, auf schwierige und orientierungslose Jugendliche einzuwirken. Nach Ansicht von Ivan Sudac vom Haus der Jugend e.V. in Montabaur kann nicht früh genug begonnen werden, auf schwierige Jungendliche pädagogisch einzuwirken.

Als Ausbildungsberater bei der Handwerksammer Koblenz bemängelte Michael Junglas das Verhalten vieler Jugendlicher: „Viele bekommen eine Chance, können sie aber nicht nutzen, da sie zu unzuverlässig sind“. Insbesondere Kleinbetriebe bemühten sich sehr um die ihnen anvertrauten jungen Menschen.

Derzeit lebten im Westerwaldkreis 1550 Jugendliche von Hartz IV, so Teamleiter Jan Steinhauer vom Jobcenter Westerwald. Das Nachholen des Hauptschulabschlusses werde ebenso gefördert wie das erfolgreiche Bestehen der Führerscheinprüfung. Beides sei eine wichtige Voraussetzung für einen Einstieg ins Berufsleben. „Wegen des bereits spürbaren Fachkräftemangels werden die Betriebe zunehmend aufnahmebereiter im Hinblick auf nicht optimal vorbereitete Jugendliche“, so Bereichsleiter Lothar Trohs von der Agentur für Arbeit Montabaur. Leider fehle in zu vielen Fällen die Unterstützung des Elternhauses.

„Jugendliche werden zu schnell abgestempelt“, bedauerte Michael Holdinghausen vom DGB Koblenz-Westerwald. Er stelle die Frage, wie man mehr Unternehmen in der Region dazu bringen kann, in der Ausbildung mehr Verantwortung zu übernehmen. Als Positivbeispiel nannte der Gewerkschaftssekretär den Westerwälder Windanlagenhersteller Fuhrländer AG.

Ein um die Zukunft seiner benachteiligten Tochter besorgter Vater bedauerte, dass nicht noch mehr Eltern diese Veranstaltung zum Anlass genommen haben, sich für die Zukunft ihrer Kinder einzusetzen. Die Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, Dr. Tanja Machalet, sprach sich in der anschließenden offenen Diskussionsrunde dafür aus, insbesondere die Ausbildungschancen der Mädchen zu verbessern. Auch einige Unternehmer waren der Einladung zu dem Fachgespräch gefolgt. Unter ihnen war Kurt Eisenmenger, Inhaber der Eisenmenger GmbH in Ransbach-Baumbach. Er berichtete von einem eindrucksvollen Beispiel aus seinem Unternehmen: ein absolut chancenloser türkischer Jugendlicher ohne Schulabschluss erkämpfte sich eine Lehrstelle, machte eine gute Abschlussprüfung und wurde zu einem wichtigen Mitarbeiter.

Dieses Beispiel aus der Eisenmenger GmbH machte allen Anwesenden Mut, an dem Thema „Chancen für chancenlose Jugendliche“ weiterzuarbeiten. Voraussichtlich am Mittwoch, 10. November, um 18.30 Uhr soll das Fachgespräch fortgesetzt werden. Der endgültige Termin werde noch bekanntgegeben, so Forumssprecher Schmidt. Dann soll über konkrete Maßnahmen und Forderungen nachgedacht und die Arbeit möglichst in thematischen Arbeitsgruppen fortgesetzt werden. Weitere Infos zum Forum Soziale Gerechtigkeit oder zur Folgeveranstaltung per Email bei Uli Schmidt unter uli@kleinkunst-mons-tabor.de.
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