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Nachricht vom 20.10.2020 |
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Kultur |
„Der von den Löwen träumte“: Hanns-Josef Ortheil im Kulturwerk |
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Zu Beginn seiner Lesung „Der von den Löwen träumte“ im Kulturwerk in Wissen am Sonntagabend, 18. Oktober, erinnerte Hanns-Josef Ortheil an seine Tante Elfriede Ortheil, die vor zwei Wochen im Alter von 84 Jahren verstorben sei. Er widmete ihr den Abend, sie hätte als einzige seiner vielen Verwandten fast alle seine Lesungen im hiesigen Raum besucht. Sogar bei den Preisverleihungen, in Mainz oder Alzey, habe sie ihn oft durch ihre Teilnahme überrascht. |
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Wissen. Ortheil bedankte sich zudem bei allen, die zum Gelingen des Abends beigetragen haben: „Ich habe großen Respekt davor und bin froh, dass der Abend zustande gekommen ist.“ Seine letzte Lesung sei am 3. März 2020 in Freiburg gewesen. Für viele Autoren seien Lesungen eine große Einnahmequelle über die Bücher hinaus. Das sei jetzt ein großes Problem, wie auch der Ausfall der Frankfurter Buchmesse, die nur digital in verkürzter Form stattfinde in diesem besonderen und sehr schwierigen Jahr.
Den Autor Hanns-Josef Ortheil in Wissen vorzustellen, das ist in etwa so wie Eulen nach Athen zu tragen. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim, 1951 in Köln geboren, ist zurückgekehrt in den Heimatort seiner Eltern, und lebt in Wissen. Unter anderem wurde Ortheil der Thomas-Mann-Preis verliehen, seine Romane sind in über zwanzig Sprachen übersetzt worden. Nun bereicherte er am Sonntagabend als Botschafter des Kulturwerks die 19. Westerwälder Literaturtage mit Auszügen aus seinem neuen Buch „Der von den Löwen träumte“; das freute nicht nur Organisatorin Maria Bastian-Erll, sondern auch die zahlreich erschienen Zuhörer, darunter Ulrich Marciniak, stellvertretend für den Verbands- und Stadtbürgermeister Berno Neuhoff und den ehemaligen Landrat des Kreises Altenkirchen, Michael Lieber.
Autobiographische Bezüge
Das Werk „Der von den Löwen träumte“ sei eine kurze Unterbrechung des autobiographischen Werkes von Ortheil, das schon viele Bücher umfasse, so Bastian-Erll. Dem widersprach der Autor allerdings. Es gehe in seinem Werk nicht vor allem um Hemingway, der von den Löwen träumte und in Afrika viele Exkursionen unternommen habe, um sein Heldentum durch Erlegen von Löwen zu beweisen. Er wolle versuchen zu erläutern, warum es sich um ein autobiographisches Buch handle, die Entstehungsgeschichte des Werkes, in dem es um Väter und Söhne geht, zu erzählen. Frei nach einer Textpassage im Aufsatz von Siegmund Freud „Die Dichter und das Fantasieren“ versuchte Ortheil die Frage zu beantworten, woher der Dichter seine Ideen für seine Werke schöpft. Wie kommen die Dichter zu ihren Stoffen, wo ist der zentrale Punkt, der Stoff, der so berührt, dass sie glauben mit diesem Thema weiter arbeiten zu müssen? Wie arbeiten sie damit im Verhältnis zu dem, was sie fantasieren? Hemingway sei der Schriftsteller, der ihn seit Anfang der sechziger Jahre das ganze Leben begleitet habe, erklärte Ortheil. Dessen Kurzgeschichte „Großer doppelherziger Strom“, die habe er sofort habe projizieren können auf die Umgebung im Westerwald, auf Spaziergänge mit seinem Vater an der Nister. An diesem Autor habe er sich orientieren können, habe das Gefühl gehabt, der schreibe Tatsachenberichte, keine Fantasien.
Das gewaltigste, was er als junger Mann gelesen habe, das sei das zweite Buch, das ihm sein Vater geschenkt habe, Hemingways Storys „Paris, ein Fest fürs Leben“. Schon beim Lesen der ersten der Geschichten „Ein gutes Café an der Place Saint-Michel“ habe er plötzlich gewusst, wie man große Literatur schreibe, mit einem Café au Lait und einem Rum aus Martinique, dazu ein Bleistift und ein Notizbuch. 1967 reiste er mit seinem Vater nach Paris, fand das Café und stellte genau diese Szene nach, und wirklich – nach dem zweiten Rum habe sich die Geschichte wie von selbst geschrieben. Die Kriegsromane Hemingways „In einem anderen Land“ und „Wem die Stunde schlägt“, die hätten ihn abgestoßen. In diese Lektüre der Auseinandersetzungen mit Kriegsthemen und mit dem Sentimentalen hätte er nicht hineinfinden können.
Identifikation mit Hemingway
Für „Der von den Löwen träumte“, die Entstehungsgeschichte basiert auf den beiden Romanen „Über den Fluss und in die Wälder“ und „Der alte Mann und das Meer“, reiste Ortheil nach Venedig. Es gelang ihm, sich in der Locanda Cipriani auf Torcello einzumieten, in der auch Hemingway, der sich in einer schweren Krise befand, stark traumatisiert war durch Kriegsgeschehen, viel zu viel trank und gezeichnet durch schwere Depressionen eine Schreibblockade entwickelte, 1948 wohnte. Erst die Freundschaft zu einem jungen Fischer und die Liebe zu einer achtzehnjährigen Venezianerin brachten dem fünfzigjährigen, schwer herzkranken Schriftsteller seinen Lebensmut zurück.
Wie stark er sich mit dem berühmten Schriftsteller identifiziert, das zeigte sich daran, dass die Zuhörer am Sonntagabend teilweise den Eindruck hatten, nicht Ortheil, sondern Hemingway erzähle. Er nahm sie mit in Hemingways Zimmer. Der Geruch von Holz, das Bett des Schriftstellers, in dem Ortheil schlief, und die Bücher, die er vorfand, all das vermittelte er so real wie auch die Streifgänge des Schriftstellers durch Venedig oder sein nächtlicher gedanklicher Dialog mit Hemingway auf dessen Grundstück in Key West: „Ich habe in dir nur den Landjungen gesehen, der stolz war auf seine gefangenen Fische, ich habe in dir nur das Naive gesehen, das Lernen, das Staunen. Ich habe mir vorzustellen versucht, wie du schreibst und das hat mir geholfen selbst etwas wie Sicherheit zu finden“.
Im März 2019 beendete Ortheil sein Buch „Der von den Löwen träumte“. Erschöpft von den langen Recherchen auf den Spuren seines Idols suchte er einen Arzt auf, der bei ihm ein schweres Herzproblem diagnostizierte, welches eine sofortige Operation notwendig machte und was der Autor kommentierte mit: „Hier endet die Geschichte, ich sitze wieder hier“. (ma) |
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Nachricht vom 20.10.2020 |
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