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Nachricht vom 22.12.2020
Region
VG-Wehrleiter Stürz: Einsätze nahe an der Grenze der psychischen Belastbarkeit
Es sind die Einsätze, die Feuerwehrleute nicht so einfach wegstecken, die an die psychischen und auch körperlichen Grenzen führen. Und wenn sich diese Einsätze ohne Happy-end in kürzester Zeit summieren, kann Hilfe aus fachmännisch berufenem Mund eminent wichtig werden.
Eine besondere Lage stellte der Flugzeugabsturz in der Nähe von Flammersfeld für die Wehrleute der Verbandsgemeindefeuerwehr Altenkirchen-Flammersfeld dar. (Foto: Archiv/kkö)Altenkirchen. Mittwoch, 2. Dezember: Bei einem Autounfall auf der B 8 in der Nähe von Hasselbach stirbt ein Mann. Dienstag, 8. Dezember: Bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Flammersfeld stirbt ein Mann. Mittwoch, 9. Dezember: Bei einem Autounfall in der Nähe von Weyerbusch stirbt ein Mann – drei Ereignisse, bei denen auch Feuerwehrleute verschiedener Löschzüge der Feuerwehr der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld gefordert sind. "Das sind Einsätze, die nahe an die Grenze der psychischen Belastbarkeit heranreichen", sagt Wehrleiter Björn Stürz, der nach eigenen Angaben der einzige aus dem Kreis der großen, ihm unterstellten Mannschaft war, der an allen drei Schauplätzen die Fäden in der Hand halten musste. Er wisse, dass schwere Verkehrsunfälle ein Bestandteil der Arbeit der ehrenamtlich Tätigen seien, aber "tödliche gehören nicht zur Alltäglichkeit". Für Stürz ist der Rückblick auf die Zeit zwischen dem 2. und 9. Dezember alles andere als eine Normalität: "Es ist schon ein Unterschied, ob ich drei Tote in einer Woche sehe oder nicht."

Arbeit in vorderster Linie
Stürz differenziert schon ein wenig, wenn es darum geht, die Arbeit in vorderster Linie zu bewältigen. "Wenn es wirklich um schnelle Hilfe geht, um ein Menschenleben zu retten, müssen die Kameraden ran, die auch als erste am Ort des Geschehens eintreffen", erklärt er, "es kann auf jede Sekunde ankommen." Wenn jedoch das Bergen eines Toten unabdingbar sei, frage er im Kreis des Teams, wer sich diese Aufgabe zutraue, so dass diejenigen zurücktreten könnten, die sich diesem Job nicht gewachsen fühlen, "da guckt man schon genau, wen ich einsetzen kann". Ist die (lebenserhaltende) Hilfe abgeschlossen, das Adrenalin im Körper verflogen, taucht die Frage nach der Bewältigung des Erlebten auf. "Das versuche ich mit mir selbst zu klären", skizziert Stürz seinen eigenen Weg. Maximal zieht er noch seine engste Familie via Gesprächen mit in den Prozess der Aufarbeitung ein.

Psychosoziale Unterstützung hilfreich
Für die Mitglieder der neun Löschzüge bietet Stürz während Nachbetrachtungen die Gelegenheit, sich mit dem zurückliegenden Einsatz zu beschäftigen, auf diese Weise einen Zugang zu finden, wie das Gesehene verarbeitet werden kann, und betont: "Manche suchen das Gespräch und manche nicht. Was ich nicht gesehen habe, muss ich nicht übersetzen." Was nichts anderes heißt, als dass er auf spezielle Details, die er am Unfallort wahrgenommen hat, erst gar nicht erst eingeht, weil sie andere Retter nicht sehen mussten. Diese Art des Treffens sei ebenfalls ein Weg, das so wichtige Gemeinschaftsgefühl, das in diesen Corona-Zeiten so gut wie gar nicht gefördert werden kann (Hygiene- und Abstandsregeln) hin und wieder zu stärken und das bei Feuerwehren sehr hoch ausgeprägt sei. Ein wenig differenziert habe sich die Situation nach dem Flugzeugabsturz bei Flammersfeld dargestellt. Schnell sei ihm klar geworden, dass für einige Wehrleute eine psychosoziale Unterstützung (PSU) dringend angeraten war. "Ich habe die PSU-Einheit vom DRK-Kreisverband eingeschaltet", berichtet Stürz, die unbürokratische Hilfe sei umgehend gewährt worden. "Eigentlich wollten die Kameraden, die schwer an der Lage zu knapsen und teils Tränen in den Augen hatten, einfach wegfahren, was ich natürlich nicht zulassen konnte. Sie wurden dann im Feuerwehrhaus in Oberlahr betreut."

Professionelle Nachbetrachtung
In dem Punkt der professionellen Nachbereitung sieht Stürz einen Bereich, der durchaus noch erweitert werden kann. Deswegen steht er in Kontakt mit einem ausgebildeten Psychologen, der den Part der Unterstützung nach extremen Lagen übernehmen könnte. "Erste Gespräche sind positiv verlaufen", weiß er, schränkt indes ein. Die Feuerwehr sei ein Abbild der Gesellschaft, in der es nach wie vor tabu sei, sich solcher Hilfe zu bedienen. Deswegen gilt es, auch Interesse für eine solch kompetente Unterstützung, für eine Anlaufstelle, zu wecken. Die Arbeit des Fachmannes könne auch präventiv bei regel- oder unregelmäßigen Terminen, also nicht nur nach schwierigen Einsätzen, geschehen. "Eine solche psychosoziale Unterstützung kann gleichfalls wichtig werden, wenn man gerade denjenigen kennt, der schwer verletzt in einen Unfall verwickelt ist", spinnt Stürz seine Gedanken weiter, "das kann bei uns auf dem Land viel öfter möglich sein als in einer Großstadt." Das jüngste Beispiel ist ihm noch deutlich vor Augen. Stürz kannte der Fahrer, der bei Weyerbusch starb: "Nicht so gut, aber wiederum so gut, dass wir uns gegrüßt haben." Es gebe Einsätze, "die lasse ich an der Uniform, es gibt Einsätze, die lasse ich nicht an der Uniform". Das Funktionieren an der Einsatzstelle ist das eine, die Anfahrt das andere, gerade dann, wenn er weiß, dass ein Kind laut Nachricht von der Leitstelle in Montabaur in einen Unfall verwickelt ist. "Sofort kreisen meine Gedanken um meine Frau und meiner anderthalb Jahre alte Tochter, wenn ich weiß, dass sie unterwegs sein könnten. Denn auch beim Unfall bei Weyerbusch wurde mitgeteilt, dass ein Kind in einem der beteiligten Autos sitzt", beschreibt er den "Film", der in seinem "Kopfkino" urplötzlich gezeigt wird, ehe die Professionalität wieder die Überhand gewinnt.

Menschen helfen, die in Not sind
Stürz ist seit gut zehn Monaten Wehrleiter der Verbandsgemeindefeuerwehr Altenkirchen-Flammersfeld, die seit der Fusion über neun Löschzüge verfügt. Er wurde bei einem Gegenkandidaten von den Wehrführern mit Mehrheit für zehn Jahre gewählt. Zuvor gehörte Stürz als Oberbrandmeister dem Löschzug Altenkirchen an. Titel oder Dienstgrad sind ihm nicht so wichtig, "ich möchte das beste für die Bürger, ich möchte Menschen helfen, die in Not sind", formuliert der 32-jährige Dozent für Recht seine Intention. Die Feuerwehr der Verbandsgemeinde funktioniere völlig reibungslos, bislang hätte noch keine einzige Einheit wegen Corona-Fällen außer Dienst gestellt werden müssen. "Dazu trägt auch das von uns entwickelte Schutzkonzept bei", sagt Stürz, der von den beiden Stellvertretern Michael Imhäuser und Raphael Jonas unterstützt wird. In der Alt-VG Altenkirchen hatten Andreas Krüger (kommissarisch) und in der Alt-VG Flammersfeld Stefan Krämer die Positionen der Wehrleiter inne. In seiner Freizeit ist Stürz leidenschaftlicher Fallschirmspringer. (hak)
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