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Nachricht vom 17.10.2010
Region
Armut ist auch im Kreis Altenkirchen ein Thema
Armut im Kreis Altenkirchen: Die Teilnehmer der von der Partei "Die Linke" initiierte Podiumsdiskussion fand leider nur wenig öffentliches Interesse. Dennoch wurde klar, dass auch im AK-Land das Thema Armut eine Rolle spielt. Davon, so die Diskutierenden, zeuge nicht nur die Einrichtung von Tafeln.
Uwe Maag, Sprecher der Partei \"Die Linke\" im Kreistag, hatte die Podiumsdiskussion zum Thema \"Armut im Kreis Altenkirchen\" angeregt. Fotos: anna 
Alsdorf/Kreis Altenkirchen. Das Interesse an der Podiumsdiskussion zum Thema "Armut im Kreis Altenkirchen" war nicht gerade groß, knapp 20 Zuhörer kamen in das Haus Hellertal in Alsdorf, um sich zu informieren und mit zu diskutieren. Vielleicht ist auch dies als Zeichen für die sinkende Solidarität der Menschen untereinander zu werten, was auch in der Diskussion zur Sprache kam.
Der Anstoß zu dieser Veranstaltung kam vom Kreistagsfraktions-Sprecher "Der Linken", Uwe Maag. Der studierte Pädagoge berichtete von eigenen Erfahrungen bezüglich geringfügiger Beschäftigungs-Verhältnissen und den daraus entstehenden Folgen. In solcherlei Arbeitsverhältnissen sieht er auch eine Ursache der derzeitigen ansteigenden Ausländerfeindlichkeit im Land. Maag nannte Thilo Sarrazin und Horst Seehofer Demagogen, die mit ihren Äußerungen die negative Einstellung der Menschen zu Ausländern förderten. Gleichwohl erklärte er, dass die Podiumsteilnehmer keine Wahlpropaganda betreiben wollten, sondern sich zum genannten Thema äußern werden. Maag beließ es bei der Erklärung, die Linke wolle ein Wirtschaftssystem, in dem Almosen nicht nötig wären.
Thorsten Wehner (SPD-MdL), der für die Awo vor Ort war, machte den Anfang und schilderte den Zuhörern kurz die Organisation. Diese wurde 1919 nach Ende des ersten Weltkrieges gegründet, als die Armut in Deutschland noch eine viel stärkere gesellschaftliche Präsenz darstellte. Heute kämpfe die Arbeiterwohlfahrt gegen Armut und Ausgrenzung mit verschiedenen Programmen. Wehner nannte die vielfältigen Facetten der Armut wie Arbeitslosigkeit, Alleinerziehende, mangelnde Bildung, Altersarmut und Migrationshintergrund. Oftmals lägen einer Armut mehrere dieser Facetten zu Grunde, darum sei es schwierig, dagegen zu steuern. Bildung müsse allen ermöglicht werden und dürfe nichts kosten, sagte Wehner. Alle Schüler müssten einen Schulabschluss bekommen. Er sprach sich zudem für Schulunterricht in der Muttersprache der Schüler aus. Außerdem nannte Wehner die Vermeidung von Niedriglöhnen und die Einführung von Mindestlöhnen als Voraussetzung im Kampf gegen Armut. Aufstocken sei keine Lösung. Zudem müssten auch ältere Menschen die Möglichkeit zur Arbeit bekommen. Die Ein-Euro-Jobs sieht Wehner zwar selbst auch kritisch, bezeichnete diese aber als gutes Instrument, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Wehner erinnerte an die Debatte der 90er Jahre über Deutschland als Einwanderungsland. Diese Debatte sei nie zu Ende geführt worden und es sei an der Zeit, dies zu tun. Er selbst sieht Deutschland als Einwanderungsland.

Christa Abts von der Caritas Altenkirchen erklärte, arme Menschen müssten Unterstützung und Solidarität erfahren, das Gegenteil sei aber oft der Fall. Armut bedeute häufig auch Ausgrenzung. Durch die Einrichtung von Tafeln und Kleiderkammern ziehe sich die öffentliche Hand immer mehr zurück. In der Caritas werde sie täglich mit Armut konfrontiert, so Abts. Sei es durch Arbeitslosigkeit, geringen Verdienst oder auch psychische Erkrankung, Viele könnten aufgrund ihrer Krankheit nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr arbeiten. Für solche Menschen werde schon das Zahlen der Praxisgebühr beim Arzt ein Problem. Abts berichtete von der Einrichtung einer Tafel, zu der einmal wöchentlich etwa 80 Personen kommen, um Lebensmittel zu holen, über 50 Leute essen auch vor Ort.

Im Publikum saß Franz-Josef Link, einer der Manager der Wissener Tafel. Er berichtete, dass mittlerweile jeder 11. Bundesbürger auf Unterstützung angewiesen sei. Die erste Tafel sei 1993 in Berlin gegründet worden, mittlerweile gebe es im ganzen Land 861 Tafeln. Die Wissener Tafel biete aber nicht nur Essen und Lebensmittel, sie vermittle den Menschen in Kochkursen, wie sie sich preiswert ernähren können. Es gibt zudem einen Nähkurs, Familien- und Schuldnerberatung. Seit 21 Monaten gibt es die Wissener Tafel und mittlerweile kommen durchschnittlich 150 Leute, davon etwa 30 Kinder dort hin. 70 Prozent der "Kunden" leben von Harz IV, 29 Prozent sind Rentner oder leben von Grundsicherung etwa ein Prozent sind gering Verdiener.

Von der Einrichtung "Neue Arbeit" berichtete Bernd Schuscheng. Die "Neue Arbeit" ist vor 20 Jahren gegründet worden mit dem Ziel, Menschen für Arbeit zu qualifizieren. Derzeit zählt die "Neue Arbeit" 70 Mitarbeiter. Davon sind die Hälfte in geförderten Maßnahmen, die anderen 35 in niedrigschwelliger Beschäftigung. Die Zielgruppe sind Menschen aus Harz IV, aber auch Leute, die Sozialstunden leisten müssen. Etwa 1000 Personen sind in den 20 Jahren in der "Neuen Arbeit" betreut worden. Derzeit verdiene keiner der Leute weniger als 7,50 Euro in der Stunde, was eine "schwierige Nummer" sei, so Schuscheng. Die meisten Klienten sind ohne jegliche Qualifikation, manche leben schon in der 3. Generation von staatlicher Unterstützung und haben nie etwas anderes kennen gelernt. Diese Leute wurden nie erzogen, kennen kein pünktliches Aufstehen. Andere kommen aus schwierigen Verhältnissen, haben Missbrauch erfahren oder Alkoholiker als Eltern. "Was macht man mit solchen Leuten?", stellte Schuscheng die Frage in den Raum. Einer aus dieser Klientel koste die Gesellschaft Millionen und es sei besser, die Kinder aus dem Umfeld zu nehmen und ihnen in Ganztagsschulen Chancengleichheit zu bieten. Dazu kam später von Maag der Vorschlag zur Erweiterung des Schulzwangs, um solche Kinder länger unter Betreuung zu stellen. Diese Vokabel stieß jedoch bei einigen auf Ablehnung.

Die letzten Ausführungen zum Thema machte DGB-Kreisvorsitzender Frank Näckel. Er sprach von der steigenden Armut trotz Arbeit und nannte als Beispiel einen Mann, der mit 50 Jahren unverschuldet seinen Arbeitsplatz verloren hat, seit nunmehr fünf Jahren keine neue Anstellung fand und dem nun die Altersarmut droht, wenn er in Rente geht. Sein zweites Beispiel war das eines geringfügig Beschäftigten, der bei einem Stundenlohn von 6,50 Euro noch sein Auto zur Verfügung stellen musste und dem dann bei einem Fahrzeugschaden gekündigt wurde. Näckel sprach zudem das Thema Leiharbeit an, die er nicht abgeschafft sehen will, deren Missbrauch aber nicht sein dürfe. Die Leiharbeit sei ab 2004 zunehmend entgrenzt worden, daran hätten sich alle Parteien beteiligt. Zuerst die Regierung Rot/Grün und in der Folge die Regierung Schwarz/Gelb. In Punkto Mindestlohn erklärte er die Tarifverträge der christlichen Gewerkschaften als Gefälligkeitsverträge, die dem DGB große Probleme machten. Näckel erklärte, dass von den 43.000 Beschäftigten Menschen im Kreis 1460 Aufstocker seien, die meisten davon Frauen. Dies betreffe besonders das Gastgewerbe und die Leiharbeit, aber auch Berufe in der Erziehung, Gesundheit und Sozialwesen, Zunahmen seien auch beim Baugewerbe und dem Verkehrsgewerbe zu beobachten.
Die anschließende Diskussion gestalteten die bisherigen Akteure überwiegend selbst. So kritisierte Näckel die derzeit kursierenden Arbeitslosenstatistiken. Darin würden die Menschen, die in irgendwelchen Maßnahmen steckten, alle nicht mit gezählt. Die Dunkelziffer der Arbeitslosen sei sehr hoch. Wehner berichtete von der Auflösung der Solidarität, die mehr und mehr zu beobachten sei und von vielen Politikern geradezu gezielt betrieben werde. Das beste Beispiel sei die Gesundheitspolitik. Link meinte dazu: "Fehlende Solidarität hängt mit Moral und Wertigkeit zusammen." Einen Zwang zur Ganztagsschule lehnte er ab, das träfe sonst auch Leute, die ihre Kinder selbst ganz gut erziehen könnten. (anna)
       
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